Förderpreis 2019

Verleihung des Preises für die beste Maturaarbeit der Freiburger Kollegien durch den Deutschen Geschichtsforschenden Verein des Kantons Freiburg 2019

Kantons- und Universitätsbibliothek
Freiburg, 26. März 2019

Für die Jury, die stellvertretend für den Deutschen Geschichtsforschenden Verein des Kantons Freiburg in seiner Gesamtheit den Preis für die beste an einem Freiburger Kollegium entstandene Maturaarbeit zu einem historischen Thema zuspricht, bietet jeder Jahrgang potentielle Überraschungen. Vor zwei Jahren konnten wir uns erstmals nicht dazu entschliessen, eine Arbeit zu prämieren, im letzten Jahr wurde der Preis auf ein Geschwisterpaar aufgeteilt, was eine weitere Premiere darstellte, ja und in diesem vergeben wir den Preis – ganz klassisch – an eine Preisträgerin. Wir tun dies mit Überzeugung, denn selten hat uns eine Arbeit so von sich eingenommen wie diejenige, die Antilia Wyss vom Kollegium Heilig Kreuz unter dem Titel «Stimmen aus dem Kongo. Die Haltung der évolués zum belgischen Kolonialreich und zu dessen Untergang» vorgelegt hat.

Vor dem Hintergrund der Geschichte des ehemaligen Belgisch-­‐Kongo, heute: Demokratische Republik Kongo und einigen unter Ihnen wahrscheinlich auch unter der von 1971 bis 1997 gebräuchlichen Bezeichnung Zaire bekannt, widmet sich Antilia Wyss einer Gruppe von der allgemeinen Geschichtsschreibung weitgehend vernachlässigter kongolesischer Intellektueller. Es geht um die so genannten évolués, einer in Bezug auf die Gesamtbevölkerung zahlenmässig kleinen Gruppe von Männern, die sich durch ihre Bildung, ihre Arbeit und – wie es in den von Antilia Wyss zitierten Statuten der Association des évolués de Stanleyville aus dem Jahr 1949 heisst – durch ihr Benehmen sowie ihre moralité von der Masse abhoben. Sie sahen sich selbst als indigene Elite, während sie in den Augen gerade der europäischen Kolonialkritiker als «abendländische Neger» diffamiert wurden, so die in der Arbeit wiedergegebenen Worte von Jean-­Paul Sartre.

Teil ihres Elitebewusstseins war ein – wohl nicht anders als herablassend zu nennendes – Überlegenheitsgefühl gegenüber ihren frères primitifs. Dieser Ausdruck stammt aus der zwischen 1945 und 1959 erscheinenden Zeitung La Voix du Congolais, die von évolués für évolués produziert wurde und die Hauptquelle für Antilia Wyss’ Arbeit bildet. In dieser Quelle widerspiegelt sich die diffizile Situation dieser évolués, die kulturell und sozial gleichsam zwischen Stuhl und Bank, zwischen den europäischen Kolonisten und der Mehrheit der einheimischen Bevölkerung, sassen. Diese schwierige Position wird von Antilia Wyss sehr feinfühlig analysiert, wobei ihr Text von einer – für eine Maturaarbeit – aussergewöhnlich tiefen gedanklichen Durchdringung der Materie zeugt. Diese Materie ist alles andere als einfach, ergeben sich doch aus der Beschäftigung mit dem Thema durchaus verstörende Aspekte, so etwa die aus den analysierten Texten herauszulesende Dankbarkeit gegenüber den belgischen Kolonialherren, die sich in Sätzen äussert wie: Les Blancs sont venus au Congo pour nous civiliser. Oder: Les Belges sont venus au Congo pour soigner d’abord, et avant tout, la situation matérielle et morale des Noirs, pour leur faire acquérir leur vraie place dans l’humanité.

Es versteht sich von selbst, dass solche Sätze überaus sorgfältig kontextualisiert und kommentiert werden müssen, um Fehlschlüssen vorzubeugen. Antilia Wyss hat diese Aufgabe auf überzeugende Art und Weise gelöst.

Dr. Georg Modestin